Newsletter | 28.06.2021 M

Editorial

Lesen Sie diesen Newsletter lieber nicht – gleich zwei Texte drehen sich um das Reizthema Parkraummanagement. Und nach der Lektüre werden Sie überall nur noch Falschparker sehen. Wie oben auf unserem Bild. Ausgerechnet ein Abschleppwagen, der am Wochenende Teile eines Fußweges und Blindenleitlinien blockiert … Hier finden Sie ein Interview zum neuen Anwohnerparken in Bremen. Sieben Grundsatzthesen zum Thema nennt dieser Text.
Und wir haben noch etwas zum Mitmachen, zücken Sie bitte Ihren Kalender: Im Oktober startet unser neuer Kurs zum Kommunalen Mobilitätsmanagement. Infos und den Link zur Anmeldung finden Sie hier!

Wir sagen Danke fürs Lesen – und wenn Sie Fragen haben, melden Sie sich gerne bei uns. Ihr Team MOBILOTSIN

Angebot der MOBILOTSIN

Neuer Lehrgang Kommunales Mobilitätsmanagement

Rückenwind für die Mobilitätswende: 25 Teilnehmer*innen haben jetzt den ersten Lehrgang Kommunales Mobilitätsmanagement (KMM) der MOBILOTSIN absolviert. Wichtige Nachricht für alle Interessierten aus Kommunalverwaltungen: Im Oktober startet der nächste Lehrgang. 

Die Rückmeldungen der ersten Teilnehmer*innen sind eindeutig: „Viele haben uns gesagt, dass sie das Angebot ihren Kolleg*innen unbedingt weiterempfehlen werden“, sagt Hendrik Koch vom MOBILOTSIN-Team. Seine Kollegin Julia Pohlmann betont: „Der Austausch in der Gruppe kam besonders gut an, da wurde deutlich: Alle haben ähnliche Fragen und müssen diese nicht alleine klären. Der Lehrgang hilft also auch bei der Vernetzung mit Gleichgesinnten.“
Der Kurs vermittelt verkehrsfachliches Wissen, zeigt aber auch kommunikative Methoden, die für die tägliche Arbeit der Teilnehmer*innen mit Kolleg*innen und Bürger*innen ebenfalls von hoher Bedeutung sind. So liegt der Fokus neben Key Note-Vorträgen durch renommierte Expert*innen aus Forschung und Praxis insbesondere auch auf dem Austausch untereinander sowie der gemeinsamen Erarbeitung von Fragestellungen in Kleingruppen – das klappt sogar im virtuellen Raum einwandfrei.
Ziel ist es, die Teilnehmer*innen auf neue Herausforderungen im Mobilitätsbereich vorzubereiten. So besitzen die Teilnehmenden nach dem Lehrgang nicht nur ein aktuelles, breites Fachwissen, sondern können auch die richtigen Werkzeuge nutzen, um Maßnahmen vor Ort umzusetzen.

Der Lehrgang gliedert sich in drei Teile:

Modul I:              04.10. - 06.10.2021 (Hannover, Göttingen oder Oldenburg)
Modul II:             06.12. - 08.12.2021 (virtuell)
Modul III:            07.02. - 09.02.2022 (Hannover, Göttingen oder Oldenburg)

Kosten:

1990,- Euro inkl. MwSt.


Zielgruppe:

Der Lehrgang richtet sich hauptsächlich an Mitarbeiter*innen von Kommunen, Landkreisen und ÖPNV-Aufgabenträgern in Niedersachsen. 

Anmeldung:

Vormerkungen nehmen wir im Formular auf unserer Website entgegen. Nutzen Sie dazu folgenden Link: https://www.mobilotsin-niedersachsen.de/leistungen/qualifizierung/lehrgang-kmm-2/
Im Anschluss erhalten Sie eine E-Mail von uns mit weiteren Informationen.

NACHGEFRAGT

Reizthema Parkplätze – Erfahrungen aus Bremen

Reizthema Parkplätze und Falschparken – Bremen weitet deshalb das Anwohnerparken aus. Erste Erfahrungen schildert Michael Glotz-Richter. Er ist Referent für Nachhaltige Mobilität bei der Senatorin für Klimaschutz, Umwelt, Mobilität, Stadtentwicklung und Wohnungsbau der Freien Hansestadt Bremen.

Herr Glotz-Richter, die Müllabfuhr ist einer Ihrer wichtigsten Partner …

Ja, die sind große Fans unserer Arbeit – ebenso die Feuerwehr! Wenn es Probleme mit parkenden Autos am Straßenrand gibt, kann ich nur empfehlen, machen Sie eine Testfahrt mit Feuerwehr oder Müllabfuhr, um die Probleme anschaulich vor Ort zu demonstrieren. Dazu die Entscheidungsträger einladen oder auch mal die Presse. Keiner möchte, dass die Feuerwehr nicht durchkommt. So verstehen alle das Problem. Denn das ist wichtig, wenn es um Parkraummanagement geht: Das macht man als Behörde nicht, um die Leute zu ärgern, sondern weil es einen sachlichen Grund dafür gibt.

Okay, dann wird der Fußweg, da, wo die Feuerwehr nicht durchkommt, gegen Falschparker abgepollert. Das ist dann Parkraummanagement?

Ich sehe Poller als eine deutsche Ohnmachtserklärung nach den Regeln der StVO. Das ist so eine Unart, ausgerechnet noch den Fußgängern Platz wegzunehmen. Schauen Sie mal nach Nordamerika: dort wird der Bordstein als Parkbegrenzung gesehen – das geht auch ohne Poller. Die Knöllchen für Falschparker sind deutlich teurer. Da ist in Deutschland noch viel Luft nach oben. In Bremen nutzen wir übrigens auch Fahrradbügel, um Parken zu ordnen, vor allem an Einmündungen. In einigen Straßen setzen wir Fahrradbügel parallel zum Bord auf die Straße – damit bleibt der Gehweg frei. Das muss man aber anhand der Maße jeder Straße im Detail entwickeln.

Kommen wir zu Ihrem Projekt Bremer Viertel. Warum braucht es dort Parkraummanagement?

Im SUNRISE Projekt geht es um ein ganzes Quartier mit Kneipen, Szene, engen Straßen und angrenzend gibt es ein Krankenhaus mit Besucherverkehr. Bevor wir dort das Parkraummanagement umgesetzt haben, mussten zum Beispiel Kindergartengruppen regelmäßig auf die Fahrbahn ausweichen, weil die Gehwege zugeparkt waren. Und Management bedeutet hier auch, dass es Alternativ-Angebote sowohl beim Parken als auch zum Autobesitz gibt: Auf dem Krankenhausgelände wurden 180 zusätzliche Parkplätze für Besucher eingerichtet. Im Viertel wurde die Zahl der Carsharing-Angebote deutlich erhöht, Stationen gibt es jetzt im Abstand von 300 Metern. Wir hatten uns das vorher angesehen: 26 Prozent der Fahrzeuge wurde drei Werktage am Stück nicht bewegt – und zwar normale Werktage vor Corona. Für die Eigentümer dieser Fahrzeuge ist Carsharing eine offensichtliche Alternative: Keine Parkplatzsuche, kein Kümmern um Werkstatt und Reifenwechsel – und für viele auch billiger als ein eigenes Auto.

Fürs Parken müssen jetzt auch Anwohner bezahlen.

Der Bewohnerparkausweis kostet derzeit 30 Euro für ein Jahr, das sind 8 Cent pro Tag – allerdings wird sich das verändern. In Zukunft wird es eine längenbezogene Gebühr geben: Wer mehr Platz in Anspruch nimmt, muss auch mehr zahlen. Wichtiger ist aber, dass Besucher eine Parkhöchstdauer von 2 Stunden haben und fürs Parken per Stunde bezahlen. Denn gerade die Besuchsverkehre sollen ja auf umliegende Parkplätze – auch kostenpflichtige Plätze – gelenkt werden. Ohne einen gewissen Druck wird es nicht gehen. Wir nennen das push and pull, quasi die verkehrspolitische Ausgabe von Zuckerbrot und Peitsche. Nur Anreize wie günstige ÖPNV-Tickets oder Carsharing-Angebote reichen nicht aus. Die Autos werden immer größer, die Parkplätze und der Straßenraum aber nicht. Und wie gesagt: Das ist ja eine Gegend, wo es Alternativen gibt: Sehr gute Anbindung mit dem Nahverkehr, mehr Carsharing, zusätzliche Abstellplätze für Fahrräder und ein Angebot, Lastenräder auszuleihen, haben wir auch geschaffen. Es ist natürlich ganz wichtig, für Alternativen zu sorgen – quasi das Zuckerbrot.

Wie steht es denn, sagen wir es amtlich, mit der Überwachung des ruhenden Verkehrs?

Hier geht es um das Einhalten klarer und bekannter Regeln. Das ist wie mit dem Schiedsrichter auf dem Fußballplatz: gelbe und notfalls rote Karte, damit die Regeln auch ernst genommen werden. Bei uns im Viertel sind viele Straßen so schmal, dass dort entsprechend der Straßenverkehrsordnung das vielfach praktizierte Gehwegparken einfach nicht hinnehmbar ist. Wir haben das nun mit Schildern und Markierungen verdeutlicht, wie korrekt geparkt wird. Es hat übrigens nur knapp zwei Wochen mit Präsenz der Ordnungskräfte gedauert, bis sich die Regeln wirklich eingespielt haben. Aber es musste auch abschleppt werden, quasi rote Karte. Seitdem läuft es, sogar mit weniger Überprüfungen.

Stichwort Lieferdienste: Gerade im vergangenen Jahr sind immer mehr Bring- und Paketdienste unterwegs. Wo blieben die bei Ihrem Projekt?

Das ist ein großes Thema, das immer mehr zum Problem wird. Auch hier ist es ein Problem, dass in Deutschland viele Verkehrsregeln nicht eingehalten werden. Ladezonen mit eingeschränktem Haltverbot sind oftmals zugeparkt. Hier müssen wir in Zukunft bessere Lösungen haben. In den engen Stadtquartieren Bremens wächst die Rolle der Zustellung mit großen Lastenrädern. Wir haben mit ersten Micro-Hubs angefangen, die Zustellung auf der letzten Meile per Lastenrad zu unterstützen. Wir werden aber in Zukunft auch explizite Lieferzonen brauchen, was dann auch zumindest tagsüber Parkraum von PKW umwandelt.

Raum für Autos „eng zu machen“ ist in Deutschland ein Reizthema. Was heißt das für die Umsetzung?

Ja. Die Themen Auto und Parken sind emotional überfrachtet. Das macht eine rationale Debatte nicht leicht – sie ist aber notwendig. Aber auch der Politik wird immer deutlicher, dass es nicht mehr geht, dass Autos einfach auf Geh- oder Radwegen geparkt werden. Das Problem wurde auch präsenter, da man die Rechte behinderter Menschen mehr wahrnimmt. Zugleich ist das Problem des Parkens in den letzten Jahren mit der Länge und Breite der Autos sprichwörtlich gewachsen. Uns hat sehr geholfen, dass wir im Vorfeld ausführlich mit Bürgerinnen und Bürgern gesprochen haben. Und zwar nicht nur auf den üblichen Abendveranstaltungen, sondern auch nachmittags auf dem Markt oder am Wochenende auf den Quartiersstraßen. Wo man auch Familien trifft oder Rollstuhlfahrer. Die Politik hat nach intensiver Debatte einstimmig ja zu unserem Konzept gesagt.

Wir haben jetzt von Bremen gesprochen. Ist Parkraummanagement nur Thema für Großstädte? Wann braucht eine Kommune Parkraummanagement?

Wir brauchen Straßenraummanagement, da es um mehr als Autoparken geht. Wir müssen diverse Dinge im Straßenraum unterbringen – einschließlich Ladeinfrastruktur für Elektromobilität, aber auch für Sharing-Dienste, die sich auch außerhalb von Großstädten etablieren. Und selbst kleine Gemeinden haben oftmals Probleme mit dem Parken auf Geh- und Radwegen – gerade auch dort, wo es schöne Erholungsgebiete gibt. Es gibt da überall in Deutschland viel zu tun.

Michael Glotz-Richter war Referent auf unserer Fortbildung zum Kommunalen Mobilitätsmanagement.

Parkraummanagement - sieben Stichworte

Parkraummanagement: "Jetzt handeln - es wird immer schwieriger!"

Wolfgang Aichinger ist als freier Berater für nachhaltige Mobilität und bei „Agora Verkehrswende“ (Berlin) als Projektleiter tätig. Für MOBILOTSIN hat er in unserem Lehrgang „Kommunales Mobilitätsmanagement“ über Parkraummanagement gesprochen. Exklusiv für unsere Abonnent*innen nennt er sieben wichtige Stichworte zum Thema.

-Kleine Kommunen sollten nicht länger warten!

Falschparker, blockierte Gehwege und verstopfte Straßen sind kein Großstadtproblem. Das betrifft auch Kommunen mit 5000 Einwohnern und einem verwinkelten Stadtkern. In jeder Kommune gibt es Bereiche, wo Parkraummanagement helfen kann: Vor dem Schwimmbad, dem Ärztezentrum, der Gesamtschule etc.

-Parkraummanagement erhöht die Erreichbarkeit für alle

Ziel von Parkraummanagement ist, die Nutzung von Parkplätzen zu ordnen. Gerade an Einkaufsstraßen sind Dauerparker ein Ärgernis, sie blockieren Parkplätze für weitere Kunden. Werden Parkplätze reduziert, steigt die Aufenthaltsqualität und der für Radfahrer und Fußgänger nutzbare Raum. Im Grunde suchen alle Besucherinnen und Besucher einer Einkaufsstraße ein attraktives Erlebnis – und nicht eine Beton- oder Blechwüste. 

-Jetzt handeln - denn es wird jedes Jahr schwieriger!

In Deutschland wächst die Zahl der Fahrzeuge laut Kraftfahrtbundesamt um bis zu 1.000.000 im Jahr! Für solche Steigerungen könnten gar nicht genügend Parkplätze geschaffen werden. Aber so lange in Deutschland der Glaube vorherrscht, jeder habe das Recht, sein Fahrzeug kostenlos im öffentlichen Raum zu parken, wird die Steigerung nicht enden.

-Zahlen genau kennen!

Die Diskussion um Beschränkungen fürs Parken kann hart werden. Deshalb müssen die Ausgangsdaten genau bekannt sein: Wie viele Parkplätze gibt es? Wie hoch ist ihre Auslastung, besonders der Anteil von Dauerparkern? Oft zeigt sich: Wenn Stellplätze auf Privatgrundstücken oder bewirtschafteten Parkplätzen mit erfasst werden, gibt es meist genügend Plätze – der Entfall von einzelnen Parkplätzen muss also nicht kompensiert werden. Wenn diese Zahlen nicht genau bekannt sind, ist die Debatte schon verloren.

-Keine Gerechtigkeit ohne Kontrollen!

Regeln, die nicht kontrolliert werden, bringen nichts. Wenn Verstöße nicht sanktioniert werden, werden die benachteiligt, die sich an die Vorgaben halten. Für ausreichend Kontrollpersonal muss gesorgt werden.

-Gebühren sind keine Verbote!

PKW-Nutzer können selbst entscheiden, ob sie einen zentral gelegenen, kostenpflichtigen Parkplatz nutzen - oder stattdessen vielleicht auf einen etwas weiter entfernten, aber kostenlosen Parkplatz ausweichen. Viele Menschen haben auch auf privaten Grundstücken Stellplätze, die selbst genutzt oder vermietet werden können. Nicht zuletzt sind Parkgebühren ein wichtiger und legitimer Anreiz, damit Menschen auf andere Verkehrsmittel umsteigen. Mit den Einnahmen des Parkraummanagements können diese   Alternativen zum PKW – also öffentliche Verkehrsmittel oder Radwege – verbessert werden.

-Mit Nachbarkommunen verbünden!

Jede Kommune hat irgendwo ein Problem, das sich mit Parkraummanagement angehen lässt. Wenn sich Nachbarkommunen bei der Einführung absprechen, lässt sich das „Dann fahren die Kunden woanders hin“ vermeiden.

 

Die Diskussion über eine gerechte Bepreisung von Parkraum wird auch auf Agora Verkehrswende geführt.